Zeitzeuginnengespräch einmal anders. Ein Abend mit Dita Kraus und Familie
Ich (Ulrike Jensen) durfte am 12. November 2020 mit Dita Kraus sprechen – diesmal allerdings leider nur digital. Ihre Nichte Barbara Bišicky-Ehrlich las Passagen aus den Memoiren, ihr Sohn Ron sprach über die Auswirkungen der Verfolgung seiner Eltern auf ihn und seine Geschwister. Es wurde ein ganz besonderer Abend in Kooperation der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (Aufzeichnung hier abrufbar: https://www.fes.de/julius-leber-forum/mediathek)
Dita und ich kennen uns schon lange. Ich war an der Herausgabe ihrer Memoiren beteiligt, wir mögen und vertrauen uns. Deshalb weiß ich auch, wie schwierig und zugleich wichtig es für sie ist, ihre Geschichte zu erzählen, und kenne die Themen, die sie besonders belasten. Wichtig war deswegen, auch online eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich sicher und aufgehoben fühlen konnte. Bei analogen Veranstaltungen kann ich ihre Hand nehmen, wenn es zu viel für sie wird. Doch wie kann dies digital gelingen?
Kurz gesagt: Es gelang. Dita war entspannt und freute sich sichtlich über das große Interesse: 230 Menschen waren live online zugeschaltet. Sie sprach offen auch über schwierige Themen wie darüber, sich als KZ-Häftling nicht mehr als Frau zu fühlen, da nicht nur die Menstruation wegblieb, sondern sich durch Hunger und schwerste Arbeit auch der Körper veränderte. Sie sprach über die Scham aber auch die Schwärmereien einer Pubertierenden, über Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, aber auch über Freundschaften und Zusammenhalt im Lager. Besonders wichtig, betonte sie, sei es für sie als 15-jähriges Mädchen gewesen, ihre Mutter bei sich zu haben. Dass diese wenige Wochen nach der Befreiung starb, gehört zu den Dingen, die Dita bis heute nicht verwinden kann.
Deshalb ist es umso schöner, dass nach der Legung eines Stolpersteines am Ort des ehemaligen Frauenaußenlagers Neugraben des KZ Neuengamme nun auch eine Straße nach ihrer Mutter Elisabeth Polach benannt werden wird. „Das ist, als hätte sie nun doch einen Grabstein bekommen“ freute sich Dita sichtlich und rührte damit viele Zugeschaltete.
Die Arbeit mit Überlebenden gehört zu den schönsten Aspekten von Gedenkstättenarbeit. Viele sind mittlerweile nicht mehr bei uns und wir vermissen sie sehr. Andere reisen zurzeit nicht, möchten aber weiter dazu beitragen, dass nicht vergessen wird, was geschah. Durch Livestreams nun die Möglichkeit zu haben, sich trotz Pandemie nahe zu sein und ihre Geschichten zu Gehör zu bringen, ist einer der wenigen Lichtblicke in Pandemiezeiten. Danke, liebe Dita, für dieses gelungene Experiment!
Ulrike Jensen
Ich (Miriam Rupprecht) war als Zuschauerin beim Gespräch dabei. Ich weiß, wie wichtig und berührend die Begegnungen mit KZ-Überlebenden und Angehörigen sind. Es ist etwas Besonderes, einer Person gegenüberzusitzen, die von ihren Erfahrungen und dem Einfluss des Nationalsozialismus auf ihr Leben erzählt. Genauso wichtig ist es, Fragen zu stellen und in einen Dialog zu treten.
Als die Tschechoslowakei besetzt wurde, war Dita Kraus 10 Jahre alt. Mit 13 Jahren wurde sie gemeinsam mit ihren Eltern nach Theresienstadt deportiert, zum Zeitpunkt ihrer Befreiung war sie knapp 16 Jahre alt. Was macht es mit einer Jugendlichen, ihre gesamte Pubertät in dieser physischen und psychischen Extremsituation zu erleben?
Dita erzählte von Hunger, Schmerz und Leid, aber auch von innerer Verbundenheit. Besonders berührend war für mich, als Dita davon erzählte, dass sie noch immer Kontakt zu ihrer besten Freundin aus Prag habe, die wie sie selbst nach Theresienstadt deportiert wurde. Diese Freundschaft besteht seit 80 Jahren. Auch erzählte sie, wie sich in Hamburg ein junger Mann in sie verliebte, als sie Zwangsarbeit leistete. Er schenkte ihr einen Ring, den sie noch heute besitzt.
Während der KZ-Haft war Ditas Mutter eine wichtige Stütze für sie, denn ihr Vater verstarb zwei Monate, nachdem die Familie nach Auschwitz deportiert wurde. Als Dita im Sommer 1944 für einen Transport nach Hamburg selektiert wurde, schaffte es ihre Mutter, bei ihr zu bleiben. Es war beeindruckend für mich zu hören, wie ihre Mutter alles dafür tat, bei ihrer Tochter zu bleiben und sie am Leben zu erhalten.
Nach der Befreiung kehrte Dita Kraus nach Prag zurück. Dort lernte sie ihren späteren Mann Otto kennen, einen Schriftsteller, der ebenfalls das KZ Auschwitz überlebt hatte. Sie gründeten eine Familie und emigrierten nach Israel. Auch ihr Sohn Ron Kraus ist durch die Lebensgeschichte seiner Eltern geprägt. Er ließ sich die Häftlingsnummern seiner Eltern eintätowieren. Eindringlich schilderte er, wie er sich bei einem Rabbi die Erlaubnis für das Tattoo einholte, denn Tätowierungen sind laut der Thora eigentlich für gläubige Menschen verboten. In diesem speziellen Fall machte der Rabbi eine Ausnahme. Es kommt mir vor, als würde Ron Kraus mit dem Tattoo gleich zwei Dinge an seinem Körper tragen: Einerseits ist es ein Mahnmal an den Holocaust, andererseits ein Symbol der Liebe und Verbundenheit zu seinen Eltern. Für Dita Kraus hingegen stehen die Nummern für Unterdrückung und Tod. Sie war zunächst gegen das Tattoo, hat sich aber nach mittlerweile 10 Jahren mit der Entscheidung ihres Sohnes arrangiert.
Für KZ-Überlebende und ihre Angehörigen ist der Holocaust eine Erfahrung, die ihr ganzes Leben beeinflusst. Ich bin dankbar, dass wir trotz Corona hören konnten, was Dita und Ron Kraus uns zu sagen hatten.
Miriam Rupprecht
Dies ist ein Beitrag zur Blogparade #femaleheritage der Münchner Stadtbibliothek: https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/frauen-und-erinnerungskultur-blogparade-femaleheritage/