Wir trauern um Anton Rudnjew
Anton Rudnjew wurde 1926 in Zhitomir geboren. Als er elf Jahre alt war, wurde sein Vater im Zuge des stalinistischen „Großen Terrors“ erschossen. Die Familie verlor ihre Wohnung und zog zu Antons Großmutter in die Nähe von Kharkiw in das Dorf Pesotschin. Nach der Besetzung von Kharkiw durch die deutsche Wehrmacht schloss sich Anton einer Widerstandsgruppe an. Mit Freunden sammelte er Pulver aus deutschen Artilleriegeschossen. Sie planten damit Anschläge auf militärische Infrastrukturen der Besatzer. Der 15-Jährige wurde dafür im Oktober 1941 verhaftet und war bis zum Mai 1942 im Gestapo-Gefängnis in Kharkiw inhaftiert.
Am 11. Mai 1942 wurde er direkt aus dem Gefängnis nach Deutschland deportiert. Er musste Zwangsarbeit bei den Bremer Flugzeugwerken Focke-Wulff-Flugzeugwerke und Weser Flugzeugbau GmbH leisten. Er arbeitete dort unter anderem in der Küchenabteilung und schnitt Brot. In seinem Erinnerungsbericht schildert er, wie er über diese Tätigkeit in Kontakt mit einer Untergrundgruppe kam „Wir haben Brotstücke ins Lager mitgebracht, die beim Brotschneiden abgefallen waren. Das hat den Kranken im Lager geholfen. Das ging drei Monate. Dann hat man uns mit den Brotstücken erwischt und im Lager eingesperrt.“
Nach zwei Fluchtversuchen wurde er nach Hamburg gebracht und zunächst in den Strafanstalten Fuhlsbüttel inhaftiert. Von dort aus wurde er bei der Trümmerräumung in Hamburg eingesetzt. Im Februar 1943 wurde Anton Rudnjew ins KZ Neuengamme überstellt. Er überstand mehr als zwei Jahre KZ-Haft. Kurz vor Kriegsende wurde er im Zuge der Lagerräumung in das KZ Bergen-Belsen gebracht, wo er am 15. April 1945 die Befreiung erlebte. Er kehrte in die Ukraine zurück.
In späteren Jahren richtete Anton Rudnjew in der Ukraine Kulturveranstaltungen und Veranstaltungen für Schulkinder aus, in denen er über seine Haftgeschichte berichtete. Mit seiner Frau besuchte er 2010 und 2019 Hamburg und nahm an der Gedenkfeier zur Befreiung der Häftling des KZ Neuengamme am 3. Mai teil. Anton Rudnjew stand im engen Kontakt mit anderen Überlebenden des KZ Neuengamme, besonders mit Evhenii Malychin, der 2020 verstarb. Am 9. Mai 2023 ehrte die ukrainische Regierung ihn mit einer Gedenktafel für seinen Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Kharkiw.
Der seit dem 24. Februar 2022 geführte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, den Anton Rudnjew in Kharkiw erlebt, erschütterten ihn tief. Die Erfahrungen des gegenwärtigen Krieges vermischten sich in seiner Wahrnehmung mit seinen Erinnerungen und machten seine letzten Lebensjahre sehr schwer. Im Mai interviewte Evhenii Telukha, Historiker im Kollektiv „Junges Kharkiw“, Anton Rudnjew für das Projekt „Häftlinge des KZ Neuengamme aus der Ukraine“, das die KZ-Gedenkstätte Neuengamme 2022 initiierte. Die ukrainischen Künstler Oliksandr Putivkiy und Roman Kolesnikov fertigten Zeichnungen zu Erinnerungsberichten von Anton Rudnjew und zwei weiteren ehemaligen Häftlingen des KZ Neuengamme an. Diese Zeichnungen sind noch bis zum 23. Juni 2024 im Foyer der Hauptausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ausgestellt.
Wir wünschen Anton Rudnjews Ehefrau Ljubow Rudnjewa und seiner Familie viel Kraft in der Trauer um diesen mutigen Menschen, der in den letzten Jahren erneut so viel Angst erleben musste. Wir denken an ihn, an seine Familie und auch an die vielen weiteren Opfer der NS-Verfolgung in der Ukraine, deren Leben weiterhin von dem aktuellen Krieg bedroht wird.