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25.02.2024

Installation „Häftlinge des KZ Neuengamme aus der Ukraine“

Eine ländliche Umgebung mit einfachen Häusern, einer Katze, zwei Personen und landwirtschaftlichem Gerät. Am Himmel drei Flugzeuge. Bleistiftzeichnung
Zeichnung von Roman Kolesnikov nach einem Bericht von Grigori Nedelko

Zwei Jahre nach dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zeigt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ab dem 24. Februar 2024 Zeichnungen der ukrainischen Künstler Oliksandr Putivkiy und Roman Kolesnikov. Sie illustrieren Erinnerungsberichte der ehemaligen Häftlinge des KZ Neuengamme, Nadeschda Zuewa, Anton Rudnjew und Grigori Nedelko. Die Zeichnungen entstanden in den Jahren 2022 und 2023 und werden in Booklets und als Bildprojektionen im Foyer der Hauptausstellung ausgestellt.

Svitlana Telukha, die das Projekt betreut, beschreibt die Idee hinter der Ausstellung:

„Die Idee ist es, die Geschichten von Menschen breiter bekannt und sichtbarer zu machen, die im Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden und deren Schicksale mit dem Konzentrationslager Neuengamme verbunden sind. Ausgangspunkt unseres Projekts sind Audio- und Videointerviews mit Überlebenden des KZ Neuengamme im Archiv der Gedenkstätte. In dem in Kharkiv basierten Netzwerk „Junges Kharkiv“, das aus Historiker*innen und Künstler*innen besteht, haben wir ihre Geschichten aus neuen Perspektiven weitererzählt: Dazu haben wir Methoden der Oral History und das künstlerische Verfahren des Zeichnens zusammengebracht.

Lebensgeschichten in Bildern erzählt

Wir vertreten den Ansatz, dass mit dem zeichnerisch-visuellen Zugang zu den Erinnerungsberichten die Lebensgeschichten auf eine besondere atmosphärische Weise erzählt werden können. Denn als „grafische Geschichten“ schaffen Zeichnungen nicht nur die Möglichkeit, die Ereignisse in Bildern nachzuerzählen, sondern auch, sich den Persönlichkeiten der „Held*innen“ anzunähern und ihre Erlebnisse in bestimmte Stimmungen einzubetten. Die Verbindung von Grafiken und Texten – den Zitaten aus den mündlichen Erinnerungsberichten der Überlebenden – führt unserer Meinung nach zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten und vermittelt in einer verdichteten Form eine Fülle an geschichtlichem Hintergrund.

Für das Projekt haben wir die Lebensgeschichten von drei Ukrainer*innen ausgewählt, die als sehr junge Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden. Nach Fluchtversuchen oder Widerstandshandlungen, die sich gegen das NS-Regime richteten, wurden sie in Konzentrationslagern inhaftiert. Sie überlebten die Gefangenschaft unter schwierigsten Bedingungen und konnten später ihre Geschichten erzählen. In ihren Berichten leben die vielfältigen gesellschaftlichen Erfahrungen wieder auf, die die Vorkriegsjahre in der Ukraine bestimmt haben, die Repressionen unter Stalin in den 1930er Jahren, der Holodomor der Jahre 1932–1933, dann der Beginn des Zweiten Weltkrieg und die Besatzung der Ukraine. Wir finden in den Erzählungen Hinweise sowohl auf den Holocaust als auch auf die verschiedenen Ausprägungen der NS-Zwangsarbeit.

Ihre Geschichten veranschaulichen die verzweigten Wege, auf denen sich die Zwangsarbeiter*innen und Häftlinge im besetzen Europa bewegten, sie erzählen vom Essen und dem ständigen Hunger, sie enthalten Informationen über Untergrundaktivitäten, Freundschaft und gegenseitige Hilfe, Überlebens- und Anpassungsstrategien, die Befreiung aus den Lagern und die schwierige Rückkehr in die Heimat.

Gezeichnete Erinnerungen schaffen ein Gedächtnis der Stadt Kharkiv

Unser Künstlerkollektiv hat seine eigenen künstlerischen Ansätze und Visionen in die Bilder unserer „Held*innen“ eingebracht und verschiedene grafische Stile und Materialien eingesetzt. Das Ergebnis bilden Illustrationen, die die individuellen Erfahrungen der Protagonist*innen versuchen wiederzugeben: Die Künstler haben sich den Themen mit großem Respekt und Sensibilität genähert, sie haben die Geschichten zeichnerisch nachvollzogen und damit auch eigenen Kriegserfahrungen weitergegeben. Jede Illustration ist spezifisch in ihrem zeichnerischen Stil, Komposition, Farbigkeit auf bestimmte Stellen in den Berichten der ehemaligen Häftlinge bezogen, einige Illustrationen wurden auf getöntem Papier angefertigt. Für die Umsetzung wurden verschiedene Materialien – Bleistifte, Filzstifte und Gouache – gewählt.

Ein besonderes Ziel unseres Netzwerkes „Junges Kharkiv“ ist es, aus verschiedenen Dokumenten eine Art Gedächtnis der Stadt Kharkiv zu schaffen und an die Geschichte der Stadt und ihrer Einwohner*innen zu erinnern. Zwei der in dem Projekt vorgestellten Häftlinge – Anton Rudnjew und Grigori Nedelko – stammen aus Kharkiv, Nadeschda Zuewa kam aus dem heute durch Russland besetzten Mykolajew. Anton Rudnjew lebt heute noch in Kharkiv und erlebt als 98-Jähriger einen zweiten Krieg.“

Installation in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Die Installation in deutsch und ukrainisch ist voraussichtlich bis zum 23. Juni 2024 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen. Am 19. Mai und am 23. Juni 2024 finden Ausstellungsgespräche mit Svitlana Telukha statt. Für aktuelle Zeiten und weitere Informationen schauen Sie bitte in unseren Veranstaltungskalender.

Das Projekt wurde unterstützt von der Liebelt-Stiftung Hamburg.

Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine

Zwei Zeichnungen, oben ein Soldat mit einem Tablet und einer Flasche darauf, daneben drei sitzende Frauen. Unten ein Soldat hinter einem Tisch, vor dem Tisch eine Schlange von Frauen, im Vordergrund eine Frau in Häftlingsuniform.
Zeichnungen von Oliksandr Putivskiy nach einem Bericht von Nadeschda Zuewa.
Drei Zeichnungen: Oben Männer mit Gewehren, im Hintergrund schemenhaft andere Menschen. Mitte: ein Junge, der einem Mann zuguckt der Schweißerarbeiten macht. Unten: Jemand, der die die engegengesetzte Richtung einer Mauer oder eines Tores rennt, oben am Himmel der Mond
Zeichnungen von Oliksandr Putivkiy nach einem Bericht von Anton Rudnjew