Unsere Freundin Dita Kraus ist tot
Als Edith Polachová am 12. Juli 1929 in einer tschechisch-jüdischen Familie geboren, überlebte sie das Ghetto Theresienstadt, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sowie die Außenlager des KZ Neuengamme Dessauer Ufer, Neugraben und Tiefstack. Am 15. April 1945 wurde sie aus dem KZ Bergen-Belsen befreit und kehrte kurz vor ihrem 16. Geburtstag im Sommer 1945 nach Prag zurück. Ihre Eltern hatten die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebt.
Dita heiratete Otto B. Kraus, der ebenfalls Shoah-Überlebender war, und wanderte mit ihm nach Israel aus. Sie bekamen drei Kinder und sprachen zuhause offen über das, was ihnen und ihren Familien von den Nationalsozialisten angetan worden war. Dita arbeitete lange als Lehrerin und malte wunderschöne Blumenbilder. Doch leider musste sie in ihrem Leben weitere große Verluste hinnehmen: Zwei ihrer drei Kinder starben, ihren Mann Otto verlor sie im Jahr 2000. Dita lebte vorwiegend in Israel, verbrachte aber mehrere Monate im Jahr in ihrer Geburtsstadt Prag. Sie freute sich über ihre Enkel*innen und Urenkel*innen – sie seien ihr Sieg über die Nationalsozialisten, betonte sie.
Obwohl sie sich zunächst geschworen hatte, niemals wieder nach Deutschland zu kommen, reiste Dita auf Einladung von Karl-Heinz Schultz, der die Geschichte des Außenlagers Neugraben des KZ Neuengamme erforschte, 1999 gemeinsam mit anderen tschechischen Überlebenden nach Hamburg. Eine enge Freundschaft entstand. Seitdem kehrte Dita regelmäßig, auch auf Einladung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, nach Hamburg zurück und sprach oft mit jungen Menschen über ihr Leben. Sie wurde uns zu einer guten Freundin. Kolleg*innen der Gedenkstätte besuchten sie mehrfach in Prag und Netanya und lernten Dita so auch privat kennen.
Ditas Memoiren „A Delayed Life“ wurden 2020 unter dem Titel „Ein aufgeschobenes Leben. Kindheit im Konzentrationslager – Neuanfang in Israel“ auf Deutsch veröffentlicht. Mittlerweile sind sie als wichtiges Zeitdokument in vielen Sprachen erschienen.
Dita begleitete unsere Arbeit aktiv, weil sie zeigen wollte, wohin Hass und Ausgrenzung führen können. Ihr Anliegen war es, so lange zu berichten, wie ihre Kräfte reichten. Sie war eine beeindruckende Zeitzeugin, verstand es, ohne erhobenen Zeigefinger, aber sehr eindrücklich über ihre Verfolgungsgeschichte zu berichten. Ihre Botschaft war eindeutig: „Verbreitet keinen Hass!“ Doch sie nahm die jungen Menschen auch in die Pflicht und gab ihnen mit auf den Weg: „Jetzt ist es an euch, der Beweis zu sein und eure Stimme zu erheben, wenn angezweifelt und abgestritten wird, dass es passiert ist.“ Bereits gesundheitlich angeschlagen, reiste sie zum letzten Mal im Mai 2024 nach Hamburg (Dita Kraus im Gespräch mit Jugendlichen)
Die Geschehnisse des 7. Oktober 2023 stellten Dita noch einmal vor große Herausforderungen. Sie verlegte ihren Lebensmittelpunkt von Netanya nach Prag, denn, so sagte sie einmal, die Situation in Israel bräche ihr das Herz, sie könne keinen weiteren Krieg ertragen. Kurz vor ihrem Tod holte ihre Familie sie jedoch nach Israel zurück, um sie zu pflegen. Dort starb sie am 18. Oktober 2025.
Mit Dita Kraus verlieren wir eine gute Freundin und wichtige Zeitzeugin. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei ihren Lieben.
Nachruf in der Jüdischen Allgemeinen: "Abschied von einer starken Frau"