Rückblick: 78. Jahrestag der Befreiung
Erinnern an die Bombardierung der Häftlingsschiffe in Neustadt
Die Amicale Internationale KZ Neuengamme und die Stadt Neustadt in Holstein haben zum 78. Jahrestag der Bombardierung der Häftlingsschiffe verschiedene Veranstaltungen am 2. Mai 2023 in Neustadt organisiert. Thema in diesem Jahr war, wie die Erinnerungen für künftige Generationen lebendig gehalten werden können, daher gab es Gespräche mit Angehörigen und Veranstaltungen über die Bedeutung von Kinderbüchern über die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Gedenkfeier gestalteten auch Schüler*innen mit, die an den polnischen Häftling Kazimierz Wajsen erinnerten, dessen Enkelin sie in einem Schulprojekt kennen gelernt hatten.
Reden in Neustadt
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Ort der Verbundenheit. Familienangehörige präsentieren Plakate
Am 2. Mai konnten Familienangehörige am Ort der Verbundenheit in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ihre selbstgestalteten Plakate in Erinnerung an ehemalige Häftlinge des KZ Neuengamme drucken. Dabei kamen Drucktechniken zum Einsatz, die auch schon im Widerstand gegen den Nationalsozialismus verwendet wurden. Der Ort der Verbundenheit ist ein seit 2020 wachsender, aktiver und internationaler Gedenkort von Angehörigen und für Angehörige von ehemaligen Häftlingen des KZ Neuengamme. Bei der anschließenden Präsentation im ehemaligen Klinkerwerk berichtete Riet Schuit (zusammen mit Karin van Steeg) über ihren Vater Hendrikus Schipper, der am 11. November 1944 im Neuengammer Außenlager Ladelund gestorben war ist und den sie selbst nie kennengelernt hat. Als uneheliches Kind hatte sie es schwer und erfuhr erst mit 12 Jahren von der Geschichte ihres Vaters. Ihr Ringen um Anerkennung als Angehörige währte jedoch darüber hinaus. Auf ihr Plakat schrieb sie:
„Keine ‚Hinterbliebene‘. Nie genannt, nirgends erwähnt. Und dann, 70 Jahre später, steht es da, schwarz auf weiß. Aus Drikus‘ Beziehung mit Martha van Galen wurde am 27. Mai 1945 eine Tochter geboren. ICH EXISTIERE UND DARF SEIN!“
Auch Janina Martynowa und Mykola Titow, Angehörige aus der Ukraine, sprachen bei der Veranstaltung mit über 130 Teilnehmenden über ihre Angehörigen. Zwei von Mykola Titows Onkeln wurden 1942 für Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht, einer kam nach einem Fluchtversuch ins KZ Neuengamme. Auch Janina Martynowas Großvater war Häftling im KZ Neuengamme. Beide Angehörigen machten in ihren Reden deutlich, wie sehr der aktuelle Angriffskrieg gegen die Ukraine auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte beeinflusst. Mehr als 40 Angehörige von Häftlingen des KZ Neuengamme verlasen schließlich die Namen ihrer verfolgten Familienmitglieder. Zum Abschluss wurden die 31 neuen Poster vor Ort plakatiert.
Reden am Ort der Verbundenheit
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Gedenkfeier in den ehemaligen Walther-Werken am 3. Mai
An der Gedenkveranstaltung anlässlich des 78. Jahrestages der Befreiung der Häftlinge des KZ Neuengamme und des Kriegsendes in den ehemaligen Walther-Werken nahmen rund 290 Gäste teil. Zu diesem Anlass waren fünf Überlebende angereist: Livia Fraenkel, Dita Kraus, Elisabeth Masur-Kischinowski, Natan Grossmann und Barbara Piotrowska, die auch eine Rede hielt. Darin erzählte sie vom Warschauer Aufstand und von Erinnerungen an ihren Vater, der im KZ Neuengamme gestorben ist. Balbina Rebollar, die Präsidentin der spanischen Amical de Neuengamme hob die Gruppe der spanischen Häftlinge hervor, die lange übersehen wurde. Einige hundert von ihnen waren im KZ Neuengamme inhaftiert. Außerdem begrüßten Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth und Stiftungsvorstand Oliver von Wrochem die rund 290 Gäste.
Die anschließende Kranzniederlegung fand am ehemaligen Arrestbunker des KZ Neuengamme statt. Hier vertrat der Senator für Kultur und Medien Carsten Brosda die Stadt Hamburg. Viele weitere Häftlings- und Angehörigenverbände, Landesvertretungen, zivilgesellschaftliche Verbände und Gruppen beteiligten sich mit einem Kranz am Gedenken. Die konsularischen Vertretungen von Russland und Belarus waren, wie im letzten Jahr, wegen des andauernden Krieges nicht zur Gedenkfeier eingeladen. Für die KZ-Opfer aus diesen Ländern wurden ebenfalls Kränze niedergelegt.
Reden Gedenkfeier 3. Mai
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Gespräche mit Zeitzeug*innen
Viele Schulklassen waren am Vormittag des 4. Mai in die Gedenkstätte gekommen, um an Zeitzeug*innengesprächen mit Dita Kraus, Barbara Piotrowska und Natan Grossmann teilzunehmen. Sie berichteten von ihren Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung. Dita (Edith) Kraus, geboren 1929, lebt heute in Netanja in Israel. Als Jüdin verfolgt kam sie ins Ghetto Theresienstadt, wurde in das KZ Auschwitz verbracht und anschließend in drei Außenlager des KZ Neuengamme und das KZ Bergen-Belsen deportiert. Barbara Piotrowska erlebte als junges Mädchen mit ihrer Familie den Warschauer Aufstand. Alle wurden verhaftet, ihr Vater ins KZ Neuengamme deportiert, wo er ermordet wurde. Sie selbst kam mit ihrer Mutter ins KZ Ravensbrück. Heute lebt sie in Warschau. Natan Grossmann wurde in Polen geboren und als Jude verfolgt. Mit seiner Familie kam er in das Ghetto Lodz/Litzmanstadt, anschließend in das KZ Auschwitz und das Neuengammer Außenlager Braunschweig-Vechelde. Seine Eltern und sein Bruder wurden in Lodz und in Chelmo ermordet. Er überlebte und wohnt heute in München.
Am Abend fand unter dem Titel „Fighting Against Oblivion. Two Holocaust Survivors Remember and Look Ahead“ ein Zeitzeuginnengespräch mit Livia Fraenkel und Elisabeth Masur-Kischinowski in der Freie Akademie der Künste Hamburg statt. Vor 270 Gästen erzählten die beiden von ihrem Überleben und dem Leben danach. Livia Fraenkel wurde als Jüdin verfolgt und nach Auschwitz deportiert, später musste sie in drei Außenlagern des KZ Neuengamme Zwangsarbeit leisten. Auch Elisabeth Masur-Kischinowski, geboren in der Tschechoslowakei, kam zunächst in das KZ Auschwitz, bevor sie in drei verschiedene Außenlager des KZ Neuengamme deportiert wurde. Beide Frauen lernten sich 1946 in Stockholm kennen, wo sie noch heute leben.
Junge Menschen aus Norddeutschland haben an mehreren Projektagen ein Erzählcafe mit Überlebenden vorbereitet und konzipiert. Dazu kamen am 5. Mai rund 40 Gäste in die Gedenkstätte, die in kleinen Runden den Gesprächen zwischen den jungen Menschen und den Überlebenden zuhörten.
Neues Mahnmal im Gedenkhain
Am 4. Mai wurde zusammen mit Angehörigen von ehemals Verfolgten des KZ Neuengamme, die Einweihung des Denkmals für spanische Widerstandskämpfer und Angehörige der Internationalen Brigaden gefeiert. Der Entwurf des Bildhauers und Angehörigen Serge Castillo ist „allen Opfern des Spanischen Bürgerkrieges, ‚Rotspaniern‘ und Angehörigen der Internationalen Brigaden, die im KZ Neuengamme heldenhaft die Nazi-Barbarei erlitten“ gewidmet und erweitert den Gedenkhain der Gedenkstätte. Neben der spanischen Amical de Neuengamme waren ebenfalls Vertreter der spanischen Regierung sowie die Staatsministerin des Fürstentum von Asturien anwesend.
Reden zur Einweihung
Berichte im Fernsehen:
Sat1: Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Kriegsendes
RTL: Bericht zu den Gedenkfeier in Neustadt und Hamburg (ab min 2:50)
NDR: Jahrestag der Befreiung (ab min. 9:30)