Zeitzeugin Else Baker war zu Gast in Hamburg
Dr. Christiane Heß vom Geschichtsort Stadthaus und Dr. Kristina Vagt vom Projekt denk.mal Hannoverscher Bahnhof begrüßten zur Veranstaltung und erläuterten die Bedeutung beider Orte für die Verfolgungsgeschichte von Else Baker. Auch Dr. Frank Reuter verwies auf die Bedeutung des Veranstaltungsortes. Das Stadthaus war während des Nationalsozialismus Sitz der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei. Else Bakers Vater Emil Matulat wurde in diesem Gebäude vorstellig, um seine Tochter zu retten.
Geboren im Dezember 1935, wuchs Else Baker als Pflegekind in der Familie Matulat in Osdorf auf. Ihre leibliche Mutter wurde als Sintiza verfolgt. Dadurch geriet auch Else Baker ins Visier der Behörden. Dr. Reuter erläuterte die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und betonte: „An irgendeinem Schreibtisch beschloss ein Mensch, dass dieses kleine Mädchen eine Gefahr für Deutschland sei und entfernt werden müsse.“ Im März 1943 sollte sie aus Hamburg deportiert werden. Emil Matulat konnte sie zunächst durch Proteste bei Ämtern vor einer Deportation bewahren. In einer Nacht im April 1944 erschienen erneut Beamte in ihrem Elternhaus. Else Bakers Mutter packte ihr in aller Eile einen kleinen Koffer, dann musste Else mit den Beamten zur Straßenbahn gehen. Else Baker sprach davon, wie sie erst in diesem Moment erfuhr, dass sie nicht die leibliche Tochter der Matulats war. Ihre Mutter erzählte ihr, sie würde nun ihre richtige Mutter kennenlernen. Gewöhnt daran, von Erwachsenen bei der Hand gehalten zu werden, fasste die achtjährige Else den Beamten an der Hand, der sie nicht wollte.
Das Kind wurde in einen Fruchtschuppen im Hamburger Freihafen gebracht, der als Sammelort für die Deportationen diente. Von hier wurden am 18. April 1944 vermutlich insgesamt 30 Personen, darunter viele Kinder, nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Else Baker schilderte eindringlich ihre Fahrt und die Ankunft im Lager Auschwitz. Sie sprach über das Heimweh, das sie bereits im Zug während der zweitägigen Fahrt gehabt habe. Verstört und hilflos kam sie im Lager an.
Die Überlebenschancen für unbegleitete Kinder waren sehr gering. Dass Else überlebte, ist vor allem der Sintiza Wanda Fischer zu verdanken, die sich des Mädchens annahm. Zu ihren Privilegien als Blockälteste gehörte ein eigenes kleines Zimmer. Else schlief dort während ihrer Zeit in Auschwitz auf dem Tisch, zugedeckt mit einem kleinen Läufer. Dennoch sei dies wesentlich besser gewesen, als in den Stockbetten der Baracken zu schlafen. Im August 1944 kam Else Baker nach Ravensbrück und war wieder auf sich allein gestellt.
Emil Matulat hatte sich währenddessen unablässig für die Freilassung seiner Tochter eingesetzt. Ende September 1944 konnte er sie in der Lagerkommandantur von Ravensbrück abholen. Else Baker schilderte im Gespräch, wie traumatisiert und überfordert sie als Kind auch in dieser Situation war. Sie habe nicht gewusst, wie sie auf die Ankunft ihres Vaters reagieren sollte. In einem Zimmer der Kommandantur habe sie eine Erklärung unterschreiben müssen, über das Erlebte zu schweigen. Ihr Vater habe ihr dabei ihren Nachnamen Schmidt, vorher hatte sie den ihrer Pflegefamilie getragen, buchstabieren müssen. Else Baker machte im Gespräch sehr deutlich, wie sie ihre kleine Kinderunterschrift unter das Schreiben setzte.
Bis heute spricht Else Baker nicht im Detail über die grausamen und schlimmen Dinge, die sie als Achtjährige in Auschwitz und in Ravensbrück miterlebte.
Nach den eindringlich geschilderten persönlichen Erinnerungen sprachen Dr. Frank Reuter und Else Baker abschließend über den Aufstand von Sinti*ze und Rom*nja im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944, der häufig vergessen werde. Die Menschen wehrten sich gegen ihre geplante Ermordung. Sie bewaffneten sich mit Werkzeugen und Steinen und konnten so die geplante Mordaktion um einige Wochen verzögern. Else erinnert sich an die Ereignisse, erfuhr aber erst vor einigen Jahren von der Bedeutung des Aufstandes.
Else Baker berichtete lebendig und anschaulich von ihren Erlebnissen als Kind. Sie betonte die Notwendigkeit des Erinnerns und Gedenkens und die langfristigen Auswirkungen von Stigmatisierungen auf Menschen. An vielen Stellen sprach sie davon, wie wichtig es sei, sich gegen die Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja einzusetzen.
Am folgenden Tagn, den 16. Mai 2024 sprach Else Baker bei einer Veranstaltung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung vor mehreren Schulklassen und berichtete auch hier eindrücklich von ihrer Geschichte. Ein besonderer Moment ihrer Reise war das Wiedersehen mit ihrer Kindheitsfreundin Käthe, die sie erst vor wenigen Jahren wiederfand.
Der Besuch von Else Baker wurde von der Behörde für Kultur und Medien Hamburg und von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte organisiert. Wir sind dankbar für ihren Besuch und die Möglichkeit, ihre Lebensgeschichte zu hören.