Wir trauern um Natan Grossmann
Natan Grossmann wurde 1928 in Zgierz bei Łódź in Polen als Sohn eines jüdischen Schusters geboren. Zuhause sprach die Familie jiddisch. Nach der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen im Herbst 1939 ging die Familie nach Łódź zu Verwandten, aber schon 1940 zwangen die deutschen Besatzer die jüdisch-polnische Familie in das Getto der in Litzmannstadt umbenannten Stadt Łódź. Sein Vater und seine Mutter wurden dort ermordet, sein Bruder im nationalsozialistischen Vernichtungslager Kulmhof, das sich in der polnischen Gemeinde Chełmno, etwa 70 Kilometer von Łódź, befand, vergast. Natan Grossmann überlebte nicht nur Hunger und Verzweiflung im Getto, sondern auch das KZ Auschwitz-Birkenau und das Außenlager des KZ Neuengamme in Braunschweig-Vechelde. Am 2. Mai 1945 wurde er im mecklenburgischen Ludwigslust von amerikanischen Truppen befreit. Nach dem Krieg lebte er zunächst in Israel, später zog er nach München, wo er heiratete.
Bruder, Mutter und Vater, Onkel und Cousinen – nahezu alle Verwandten von Natan Grossmann fielen dem nationalsozialistischen Morden zum Opfer. Viele Jahre hatte er nicht über die Zeit gesprochen. Erst als ihn vor gut zehn Jahren Filmemacherin Tanja Cummings kontaktierte, brach er sein Schweigen. Seitdem war er als Zeitzeuge aktiv und berichtete über seine Erfahrungen, auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: „Ich bin verpflichtet, sonst ist keiner mehr da“, sagte er.
Natan Grossmann hatte die Gabe, seine Zuhörer*innen mit seinen eindrucksvollen Berichten zu fesseln. Noch in diesem Jahr hatte er geplant, zu den Gedenkfeierlichkeiten am 3. Mai nach Hamburg zu fahren. Nun haben wir unerwartet von seinem Tod erfahren. Wir trauern mit seinen Angehörigen und seinen Freund*innen.