Wir trauern um Ivan Moscovich (1926-2023)
Ivan Moscovich war ein weltweit angesehener und kreativer Kopf auf dem Gebiet der mathematisch-logischen Spiele und Puzzles, arbeitete mit einem der größten Spielzeughersteller zusammen und stellte bis ins hohe Alter auf der Nürnberger Spielzeugmesse seine Kreationen vor. Ein Erfinder war er und noch viel mehr – Künstler, Museumsgründer und -direktor, Ingenieur… In den 1960er Jahren baute er in Israel ein mechanisches Gerät, den ‚Harmonographen‘, mit dem er "kinetische Bilder" schaffen konnte, damals völliges Neuland. Erst kurz vor seinem Lebensende wurde er als einer der Pioniere der Computer Art wiederentdeckt und mit Ausstellungen in London und San Francisco gewürdigt.
Geboren und aufgewachsen war er in Novi Sad / Jugoslawien als Sohn eines jüdisch-ungarischen Künstlers und Fotografen. 1941, als Ivan Moscovich 15 Jahre alt war, besetzte das faschistische Ungarn Teile Jugoslawiens. Sein Vater wurde innerhalb der ersten Tage verhaftet und ermordet (seine Mutter sollte später das KZ Mauthausen überleben). Wenig später begann ein Massaker an Juden und Serben. Ivan, seine Mutter und seine Großmutter mussten sich am Ufer der Donau in eine lange Schlange von Menschen einreihen, die nacheinander ermordet wurden. „Und kurz bevor wir an der Reihe waren, kam ein Offizier auf einem weißen Pferd und stoppte das Töten. Auf einem weißen Pferd!“ Als er das erzählte, war immer noch das ungläubige Staunen darüber spürbar, dass er nicht nur dieses Mal, sondern mehrfach wie durch ein Wunder überlebt hatte.
Ende 1943, nachdem Deutschland Ungarn besetzt hatte, wurde Ivan in das KZ Auschwitz deportiert. Es folgte eine lange Odyssee: das Stammlager und die Außenlager, der Todesmarsch von Auschwitz nach Bergen-Belsen, von dort aus wieder Einsätze zur Sklavenarbeit in Hildesheim und im Neuengammer Außenlager Hannover-Ahlem. Bis er – zurück im KZ Bergen-Belsen – sich dort zum Ausruhen oder Sterben auf einen Berg von Leichen legte, er wusste selbst nicht mehr wie lange. Plötzlich hörte er englische Stimmen, rollte sich von dem Berg der Toten herunter, einem britischen Offizier vor die Füße – Befreiung!
Von Bergen-Belsen ging es nach Schweden, wo er gesund gepflegt wurde, und zurück nach Jugoslawien: Maschinenbaustudium und Reparatur zerstörter Gleise – wobei er 50 deutsche Kriegsgefangene zu beaufsichtigen hatte. Jetzt hatten sich die Rollen umgedreht und er hätte seiner Wut freien Lauf lassen können – und tat es nicht: “I had ten kilometres of rails to get out that week and it was a real dilemma whether to screw the Germans or to try to get the best output from them. I decided to increase their rations to get more work out of them, and sure enough they were grateful and worked even harder, which increased the output. I was very, very tough with them and I think they were scared of me. But I never revealed to them that I was a camp survivor.”
Anfang der 1950er Jahre ging Ivan Moscovich nach Israel, wo er 1955 seine spätere Frau Anitta kennenlernte und mit der er für 68 Jahre sein Leben teilen sollte („without her I would not be here with you today“). 1959 gehörte er zu den Gründern des Museum of Science and Technology in Tel Aviv, dessen Direktor er 1964 bei der Eröffnung war: Als solcher wurde Ivan auch zum Pionier interaktiver „hands-on“-Ausstellungsformate und moderner Museumspädagogik. Schließlich zogen Anitta und er nach London: Eine ausgeprägte Vorliebe für England und englischen Lebensstil hatte er von seinem Vater übernommen. 2001 zogen beide dann zur Familie ihrer Tochter in die Niederlande.
Ivan trat nie in Verbände KZ-Überlebender ein und wollte, so sagte er, eigentlich nie seine Geschichte erzählen. Sehr spät schrieb er schließlich auf Drängen seiner Frau das Buch „The Puzzleman“ (welches die Gedenkstätte Hannover-Ahlem auch auf Deutsch herausgegeben hat). Erst 2016 kam er das erste Mal zu den Gedenkfeierlichkeiten in die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 2017 hielt er die Rede zum 72. Jahrestag der Befreiung. Er begann an Schulen und vor Erwachsenen zu sprechen. Sehr bewusst ließ er gewisse Dinge („die schlimmsten“) weg und erzählte nicht nur vom Horror, von seiner Wut, sondern insbesondere vor Schulklassen auch von einzelnen (wenigen) Momenten, wo er durch Deutsche eine kleine Unterstützung erfahren hatte. Viele seiner Auditorien (aber auch seiner Freundinnen und Freunde) reagierten überrascht, dass er nicht Auschwitz in den Mittelpunkt seiner Erzählung stellte. Dass er auf andere Orte fokussierte, etwa auf Bergen-Belsen und das KZ Ahlem in Hannover, welche er beide als besonders schrecklich und grausam in Erinnerung hatte: „[In Ahlem] we were hysterically driven by the crazed SS guards and the capos to accomplish it, while mercilessly killing and decimating my group.“
Ivan Moscovich starb friedlich am 21. April 2023, kurz vor seinem 97. Geburtstag.
Wir sind sehr dankbar für die Freundschaft, die sich mit ihm und seiner Frau Anitta entwickelt hat. Sie hatten ein besondere Art von Großzügigkeit: Ivan Moscovich unterschied sehr genau zwischen den Menschen, die ihn gequält hatten, und denen, denen er später begegnete.
Nachruf von Marco Kühnert und Ulrich Gantz