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16.05.2025

Nationalsozialistische Täterschaften in der eigenen Familie – aktuelle Perspektiven 80 Jahre nach der Befreiung

Das Buch "Nationalsozialistische Täterschaften" liegt auf Steinen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Das Buch "Nationalsozialistische Täterschaften"

Seit 2009 bietet die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Seminare zur eigenen Familiengeschichte im Nationalsozialismus an, in denen sich die Teilnehmenden mit der Frage auseinandersetzen, was ihre Verwandten tatsächlich getan und erlebt haben. Jetzt wurde die Publikation „Nationalsozialistische Täterschaften - Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie“ neu aufgelegt.

In den vergangenen 16 Jahren haben etwa 1500 Menschen an den Seminaren zur eigenen Familiengeschichte im Nationalsozialismus teilgenommen, haben Grundlagen für die Recherche ihrer eigenen Familiengeschichte vermittelt bekommen und sich mit anderen über die Folgen der Täterschaft auf ihr eigenes Leben ausgetauscht. 80 Jahre nach der Befreiung stellen sich vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen neue Herausforderungen. Aus diesem Anlass hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme eine Publikation und filmische Porträts über nationalsozialistische Täterschaften in der eigenen Familie und deren Folgen neu aufgelegt.

Wenn es um die Frage des Verhaltens der eigenen Verwandten im Nationalsozialismus geht, glauben – laut einer Studie der Wochenzeitung ZEIT „Einstellung der Deutschen zur NS-Zeit“ von Januar 2025* – 58% der Befragten dass sich ihre eigenen Vorfahren keine „Verbrechen zu Schulden kommen“ ließen. Nur 3% sehen in den eigenen Vorfahren „NS-Befürworter“, 21% „Mitläufer“ und 26% glauben an „NS-Gegner“ in der eigenen Familie. Und dies, obwohl etwa 75% der heute in Deutschland lebenden Menschen Vorfahren hat, die bereits im Nationalsozialismus in Deutschland lebten, und es seit vielen Jahren durch Forschungen belegt ist, dass das NS-Regime vom Großteil der Gesellschaft getragen wurde. Die Verklärung der eigenen Familiengeschichte im Nationalsozialismus nimmt demnach zu. Zugleich nimmt das konkrete Wissen über die Shoah und andere NS-Verbrechen ab. Diese Entwicklungen öffnen Geschichtsumdeutungen Tor und Tür.

Andererseits und möglicherweise in einer Gegenbewegung zu dieser Entwicklung will eine wachsende Minderheit in Deutschland, darunter auch viele jüngere Menschen genauer wissen, was ihre Vorfahren in der NS-Zeit getan haben. So bleibt die Nachfrage nach den Recherche- und Gesprächsseminaren der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hoch. Die Teilnehmenden arbeiten akribisch die NS-Vergangenheit ihrer Familien auf und setzen sich mit den oft sehr belastenden Erkenntnissen aus der Recherche auseinandersetzen. Erst kürzlich hat der Deutschlandfunk eine Livesendung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gemacht, in der zwei Seminarteilnehmende und Nachkomminnen von NS-Tätern über die Taten ihrer Vorfahren und ihr eigenes gesellschaftspolitisches Engagement sprechen (Wie umgehen mit der NS-Vergangenheit der Vorfahren?).

Die hohe Nachfrage von Menschen, die sich mit den Folgen von NS-Täterschaften auseinandersetzen, hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme dazu bewogen, sieben Jahre nach Erscheinen der inzwischen vergriffenen zweiten Ausgabe des Bandes „Nationalsozialistische Täterschaften - Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie“ eine überarbeitete und erweiterte Fassung vorzulegen. 33 Beiträge wurden aktualisiert, ein weiterer Beitrag neu aufgenommen. Die beigefügte Film DVD mit zehn filmischen Porträts liegt nun auf Grundlage von zwei Kinofassungen leicht gekürzt und mit englischer Untertitelung und damit zweisprachig vor. Die DVD ist auch gesondert erhältlich.

Der Sammelband und die zugehörigen Filme auf der DVD gehen auf die langjährige intensive Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Täterschafft und ihren familiären, wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Folgen nach 1945 zurück. Gebündelt werden die Ergebnisse zweier wissenschaftlicher Konferenzen sowie die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit Nachkommen von NS-Täter*innen in Seminaren und Interviews.

Bestellbar im Online-Shop: Sammelband

*Zeit online hat einen ausführlichen Artikel von Christian Staas und Anna Wilkens zur Umfrage veröffentlicht (Bezahlcontent) und die vollständigen Daten der repräsentativen Umfrage zur Verfügung gestellt: Umfrage.