Ein Fußballsommer geht zu Ende
Stadtrundgänge über die Geschichte des HSV und des FC St. Pauli, ein Vortrag zur Geschichte des jüdischen Fußballs, eine dezentrale Ausstellung zum Hamburger Fußball im Nationalsozialismus und vieles mehr: Von 14. Juni bis zum 14. Juli fand 2024 die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland statt. Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte hat ein begleitendes Programm gestaltet, das in dieser Woche mit einer Veranstaltung zu Zwangsarbeit und Sportstätten ihren Abschluss fand. Die Programm erfolgte im Rahmen des Projekts Fußball und Erinnerung und in Kooperation mit Fans Welcome Euro 2024.
Niederländischer Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Das erste im Hamburger Volksparkstadion ausgetragene Turnierspiel war Polen gegen die Niederlande. Bei einem Rundgang auf Niederländisch durch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme legte Martin Reiter den Blick unter anderem auf verfolgte Niederländer, die Fußball gespielt haben. So zum Beispiel Reiner „Rein“ Boomsma, der sowohl 1905 beim ersten Spiel eines niederländischen Nationalteams, als auch für Sparta Rotterdam auflief. Anfang Mai 1943 wurde er wegen Widerstands gegen die deutsche Besatzung ins KZ Neuengamme überführt und starb dort drei Wochen später.
Stadtrundgänge zu den Geschichten des HSV und des FC St. Pauli
Zwischen den beiden nächsten Gruppenspielen in Hamburg führte das Netzwerk Erinnerungsarbeit des Hamburger Sport-Vereins einen Stadtrundgang auf Englisch im Grindelviertel durch, um etwa die Geschichten der ehemaligen HSV-Sportler*innen Asbjørn Halvorsen, Walter Wächter und Martin Zinke zu erzählen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Der selbe Rundgang auf Deutsch wurde aufgrund hoher Nachfrage zweimal angeboten.
Auch beim Rundgang „Vom Stadthaus zum Millerntor“, der die nationalsozialistische Vergangenheit des FC St. Pauli im Fokus hatte, gab es so viele Interssierte, dass er zweimal stattfand. Beim von Maren Degener durchgeführten Rundgang war auch der Deutschlandfunk mit dabei. Im Anschluss konnte noch das Vereinsmuseum im Millerntorstadion besucht werden, wo anlässlich der Euro die Sonderausstellung zum Fußballspieler Max Kulik gezeigt wurde.
Deutscher und englischer Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Neben vier Gruppenspielen wurde in Hamburg ein Viertelfinalspiel ausgetragen. Einen Tag nach dem Spiel gab es die Möglichkeit, in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Themen-Rundgang zu Fußball im Konzentrationslager zu besuchen. Der Rundgang wurde von Paula Scholz auf Deutsch und von Maren Degener auf Englisch durchgeführt. Neben der Biografie von Otto „Tull“ Harder, der als bekannter Fußballspieler des HSV in die SS eingetreten und unter anderem Lagerführer im Außenlager Hannover-Ahlem war, wurde von Fußballspielen auf dem ehemaligen Appellplatz berichtet.
Ausstellung zum Hamburger Fußball im Nationalsozialismus
Alle bisher genannten Biografien und viele weitere Geschichten werden in der Ausstellung „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus – Einblicke in eine jahrzehntelang verklärte Geschichte“ erzählt, die 2016 im Hamburger Rathaus erstmals gezeigt wurde. Aus Anlass der Euro 2024 wurde sie während des Turnierzeitraums erneut im Geschichtsort Stadthaus sowie im Mahnmal St. Nikolai gezeigt. Interessierte konnten den Besuch mit einem Stadtspaziergang verbinden. Da das tschechische Nationalteam in Hamburg untergebracht war und auch zwei seiner Spiele im Volksparkstadion absolvierte, wurde die Ausstellung nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Tschechisch übersetzt. Der vergriffene Ausstellungskatalog wurde in diesem Jahr aktualisiert und neu aufgelegt. Er ist im Shop zu erwerben.
Unterschiedliche Abendveranstaltungen
Auch zahlreiche Abendveranstaltungen widmeten sich dem Thema: Bastian Satthoff berichtete vom Projekt „Von einem Orte des Jubels zu einem Ort des Unrechts“ und Dr. Lorenz Peiffer nahm Interessierte mit auf „Eine Reise durch die Geschichte des jüdischen Fußballs in Hamburg“.
In einer Kooperationsveranstaltung mit der Volkshochschule Hamburg berichtete Paula Scholz im Geschichtsort Stadthaus von Erinnerungsarbeit im Fußball heute. Ein Fazit des Gesprächs: Es gibt zwar immer mehr Projekte und Veranstaltungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, aber immer noch große Leerstellen. Zudem waren (und sind) es vor allem kritische Fans, Journalist*innen und Historiker*innen, die die bisher wenig beachteten Geschichten erzählten und so Druck auf Sportvereine- und verbände ausüben. Die Veranstaltung in der Reihe „Komplizen für die Zukunft“ war auch Anlass eines Podcast-Interviews mit dem Hamburger Abendblatt.
Last but not least fand Anfang September eine Podiumsveranstaltung zu Zwangsarbeitslagern auf Sportplätzen beim ETV Hamburg statt. Paula Scholz und Jakob Ketels (beide vom Netzwerk Erinnerungsarbeit) moderierten das Gespräch zwischen Frank Fechner (1. Vorsitzender ETV), Holger Artus (Projektgruppe italienische Militärinternierte 1943–45) und Bastian Satthoff (Projekt „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“). Bei der Veranstaltung wurde deutlich, dass Sportstätten zwischen 1933 und 1945 nicht selten für nationalsozialistische Zwecke genutzt wurden und dass der heutige Umgang damit sehr unterschiedlich ist. Und vor allem wurde klar, dass Aufarbeitung kein abgeschlossener Prozess und mit dem Aufstellen einer Gedenktafel für die verfolgten Vereinsmitglieder erledigt ist. Sondern vielmehr, dass sie eine immerwährende Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus im Sport bis heute bedeutet.
Breites Echo auf Instagram und in den Medien
Eine siebenteilige Serie auf Instagram, in der einzelne Aspekte wie die Geschichte des jüdischen Fußballers Walter Wächter oder der Umgang von Fans und Vereinen mit dem Nationalsozialismus heute beleuchtet wurden, begleitete den Fußballsommer. Die Posts wurden insgesamt über 1100mal geliket und vielfach geteilt. Neben Presseberichten, gab es auch einige Radio- und Podcasteinladungen (Hamburger Abendblatt) um über die Ausstellung und den Umgang mit der Geschichte des Fußballs zu berichten. Eine Auswahl der Presse- und Medienberichte hat unser Kooperationspartner Mahnmal St. Nikolai auf seiner Webseite zusammengestellt.